30 Jahre verschleppter Rechts- und Schutzvollzug

23. Februar 2022

30 Jahre verschleppter Rechts- und Schutzvollzug

Rhein-Sieg Kreis, 23.02.2022: Anlässlich der EU Ministerkonferenz am 24. und 25.02.2022 in
Straßburg zum dreißigjährigen Bestehen der Fauna Flora Habitat Richtlinie (FFH RL) weist
der BUND Rhein-Sieg Kreis auf die verheerende Situation der FFH Gebiete auch im Rhein-Sieg
Kreis hin. Für viele Schutzgebiete existieren nur mangelhafte oder veraltete Schutzgebiets
konzepte. Kein Schutzkonzept genügt den Anforderungen der FFH RL der Europäischen Union
hinsichtlich der Benennung konkreter, verbindlicher und überprüfbarer Ziele für die einzelnen
Schutzgüter, also für die konkret geschützten Arten und Lebensräume.
Diese Mängel betreffen nicht nur den Rhein-Sieg Kreis, sind dort aber besonders deutlich
ausgeprägt. Die EU Kommission hat die Bundesrepublik Deutschland nun auf den Vollzug
des FFH Schutzes mit Schriftsatz vom 18.2.2022 verklagt verklagt. Damit hat das seit Jahren laufende
Vertragsverletzungsverfahren die nächste Stufe erreicht.
Der BUND Rhein-Sieg Kreis trägt diese von der EU beklagten massiven Rechtsdefizite ebenfalls
regelmäßig bei Genehmigungsverfahren und Nutzungskonflikten vor, findet dabei aber bei den
vorrangig an Nutzungsinteressen orientierten verantwortlichen Politiker*innen und den
Kommunalverwaltungen wenig Gehör. Für die Medienvertreter*innen ist die Problematik
außerordentlich komplex und sperrig und daher schwer nachzuvollziehen. Rechtsvollzug ist
dadurch im Naturschutz erheblich erschwert.
Die jahrzehntelange Weigerung des Rhein-Sieg Kreises, der gesetzlichen Pflichtaufgabe
nachzukommen, überhaupt FFH Konzepte zu erstellen, hat vielfach zum Vollzugsausfall beim
Schutz der Gebiete und zu entsprechenden massiven Schäden geführt. Belastungen durch Licht,
Freizeitnutzung, Wegebau, Niederschlagswassereinleitung, Stauwehre, Hotelnutzungen,
Kanusport, Forst und Landwirtschaft wurden und wer den dadurch oft nicht erkannt und nicht
abgestellt. In der Folge werden auch rechtswidrig Nutzungen in Landschaftsplänen und
Schutzgebietsverordnungen freigestellt bzw. freigegeben, ohne den europäischen FFH Schutz
rechtlich vorrangig zu vollziehen.

1 presidence-francaise.consilium.europa.eu/de/veranstaltungen/ministerkonferenz-zum-30-jahrigen-jubilaum-des-netzes-natura-2000/
2 ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_412

Ohne wirksame FFH-Maßnahmenkonzepte sind außerdem FFH-Zulassungsprüfungen für
Eingriffe nicht seriös durchführbar.
Trotzdem oder gerade deshalb bescheinigen jährlich zig Gutachten im Rhein-Sieg-Kreis die angebliche Vereinbarkeit von Bauvorhaben und neuen Nutzungen in und an den FFH-Schutzgebieten.

Die massiven Mängel bei und in den Maßnahmenkonzepten tragen wesentlich dazu bei, dass in den FFH-Gebieten viel zu wenige aufbauenden, investive Naturschutzprojekte durchgeführt werden, dass Nutzer*innen weitreichend selbst über die Schutzgebiete bestimmen, insbesondere im Forst, und dass andere Maßnahmenträger, etwa bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, keine Orientierung zu Anpassungserfordernissen erhalten. Chancen der Zusammenarbeit und für Synergieeffekte (§ 2 Abs. 2 BNatSchG), wie jetzt an der BAB 3, bleiben unentdeckt.

Der Pflicht der Erstellung der FFH-Konzepte ist der Kreis angesichts der inzwischen vorliegenden Klage des
Europäischen Gerichtshofes gegen Deutschland wegen des fehlenden FFH-Vollzugs Ende 2020 unter dem Druck der Bezirksregierung Köln im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland nur scheinbar nachgekommen. Die erst seitdem öffentlich zugänglichen FFHs-Maßnahmenkonzepte sind aber oft nur zusammengetragene, alte Pläne und nicht geeignet, auf dieser Grundlage den guten Erhaltungszustand der Schutzgebiete aufzubauen.

Der Mangel beim Schutz und der Entwicklung der FFH-Gebiete ist eines der zentralen, größten Vollzugsdefizite der Kreisverwaltung.  

Zu den Mängeln in den FFH-Konzepten einige Beispiele:

FFH-Gebiet „Villewälder bei Bornheim“, DE-52075207-304:
Für dieses Schutzgebiet ist ein Sofort-Maßnahmenkonzept des Landesbetriebes Wald und Holz hinterlegt.
Es stammt aus dem Jahr 2003 bzw. 2010, es wurde im August 2020 veröffentlicht. Die dort entwickelten Maßnahmen gelten ausweislich des Konzeptes selbst für den Zeitraum bis 2012. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichtes im Jahr 2020 war er schon seit acht Jahren „abgelaufen“. Es heißt dort: „Die Maßnahmenvorschläge des vorliegenden SoMaKo [Sofort-Maßnahmenkonzeptes] gelten für den Planungszeitraum bis zum Jahr 2012“.
Weiterhin heißt es dort: „Das Vorkommen des Haar-Klauenmooses konnte im Rahmen dieses ersten SoMaKo nur unzureichend erfasst, bewertet und ggf. Maßnahmen zur Verbesserung des Erhaltungszustandes geplant werden. Hier besteht Nachholbedarf.“ Das Haar-Klauenmoos ist melderelevante Art nach Anhang II für dieses Schutzgebiet.

Es werden vor allem vier Maßnahmenblöcke im SoMaKo abgegrenzt, beispielsweise der „Erhalt von Altholzanteilen, Totholz, Höhlen- und Biotopbäumen“ auf ca. 66 ha. Wie soll eine solche Maßnahme überprüft werden,wo findet sich das Entwicklungsgebot?
Es fehlt jegliche Nennung von konkreten Zahlen, welche Baumalter vorhanden sind, welche Alter
angevon konkreten Zahlen, welche Baumalter vorhanden sind, welche Alter angestrebt werden, wie viele Kubikmeter Totholz pro Hektar aufgebaut werden sollen u.a.m. Die Maßnahmen sind viele Kubikmeter Totholz pro Hektar aufgebaut werden sollen u.a.m.
Die Maßnahmen sind weitgehend unbestimmt.

 

FFH-Gebiet „Sieg“,DE-52105210-303: 

Das FFH-MaßnaMaßnahmenkonzept datiert auf dem 19. Oktober 2020. Als Fachkonzepte werden u.a. das Siegauenkonzept aus dem Jahre 2006 (sic!) und der Umsetzungsfahrplan des ersten Bewirtschaftungszeitraums für die Wasserrahmenrichtlinie (2011) herangezogen, die jedoch keinerlei konzeptionellen Bezug zu den FFH-Schutzgütern haben. Die Maßnahmen zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie haben keine FFH-Prüfung durchlaufen und haben auch keine abgestimmte Entwicklung FFH-Lebensraumtypen oder deren charakteristischen Arten zum Inhalt. Weiterhin bestehen zwei Landschaftspläne (LP) für Teilgebiete des Schutzgebietes, die aber dem FFH-Gebiet abträgliche Nutzungen absichern (Bootsfahrten, Wassersport, Baden, Zugangsstellen) und sich mit wirksamen Schutzw- und Entwicklungsmaßnahmen
wie der Besucher*innenlenkung, dem Schutz der Ufer vor künstlicher Beleuchtung, Gülleausbringung auf den Uferwiesen, störenden Wehranlagen, Belastungen aus Kläranlagen, zunehmender den Uferwiesen, störenden Wehranlagen, Belastungen aus Kläranlagen, zunehmender touristischer Erschließung durch die Kreisverwaltung und die Kommunen sowie Deichbaumaßnahmen nicht auseinandersetzen.
In den Landschaftsplänen 7 und 9 gibt es keine Maßnahmen im Sinne des § 26 LG NRW (a.F.) bzw. jetzt § 13 LNatSchG NRW für die Sieg, die auf die FFH-Lebensraumtypen Bezug nähmen oder Mindestflächen oder Mindestqualitäten als
Ziel aufbauen würden. Auch der neu geplante LP 7 (Stand 2020, im Aufstellungsverfahren) enthält im Entwurf solche Maßnahmen nicht.
Tatsächlich gibt es für die Sieg bis heute kein auf die Schutzgüter bezogenes Maßnahmenkonzept.
Ähnlich verhält es sich für das FFH-Gebiet „Sieg und Siegmündung“, DE-52085208-301301 für den Abschnitt im Rhein-Sieg-Kreis.
Dem dortigen Landschaftsplan 6 aus dem Jahre 2005 fehlt bei den Maßnahmen gemäß § 13 LNatSchG NRW nicht nur der Bezug zu den FFH-Lebensraumtypen und Anhang-II-Arten, er ist auch schlicht nicht mehr aktuell.

FFH-Gebiet „Siebengebirge“, DE-53095309-301:
Für das Schutzgebiet wurde im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes „chance7“ im Jahr 2014 ein Projektentwicklungsplan (Pepl) aufgestellt. Es wurde zwischen den Naturschutzbehörden vereinbart, ihn als FFH-Maßnahmenkonzept zu werten.
Im Vergleich zu den anderen FFH-Gebieten im Rhein-Sieg-Kreis liegt damit sogar ein gründliches Konzept für bestimmte Fragestellungen vor. Es findet jedoch keine ausreichende Anwendung bzw. Beachtung.
Andere Fragestellungen wie die Besucher*innenlenkung, die Rückführung der Lichtbelastung durch künstliche Beleuchtung, die Rückführung von Nutzungen im Schutzgebiet (z.B. Wohnen [z.B. Hundepension], Hotels [Jugendhof, Burghof], Weihnachtsmarkt [Schloss Drachenfels], Lichtershows [Schloss Drachenfels], Fahrverkehr [Kutschenweg, Petersbergzufahrt u.a.], Bau von Aussichtspunkten [Schaaffhausenkanzel, Skywalk Rabenley (BN)], Flächenverlust im unmittelbaren FFH-Umfeld durch Baugebiete [z.B. B-Plan Bad Honnef Nr. 1-153], Wegebaumaßnahmen [Ausbau der Forstwege]) bleiben dort unbearbeitet. Doch auch die Vorgaben aus dem Pepl, der dezidiert Konzepte zum Bestandsumbau der Nadelwaldbestände formuliert hatte, verhallen.
So fanden in den letzten Jahren durch den Forstbetrieb ohne FFH-Prüfung umfassende Kahlhiebe auf vielen Hunderten Hektar im FFH-Gebiet statt.
Weder wurden Mindeststandards tatsächlich eingehalten (Rückegassen 40m, Belassen von Schutzstreifen entlang der Laubwälder) noch wurden Schutzgüter des FFH-Gebietes geschont. So kam es auch zum Verlust von Flächen des FFH-LRT 91E0*.
Douglasien wurden gezielt als Überhälter auf den Fichten-Kahlschlagflächen erhalten, um über die Naturverjüngung
die Douglasie wesentlich am Bestandsaufbau teilhaben zu lassen, obwohl die von der Bezirksregung Köln erlassene
Schutzgebietsverordnung vom 8.5.2012 in § 4 Absatz den Umbau aller Waldflächen zu FFH-LRT, also zu heimischen Laubwälder, vorschreibt.

FFH-Gebiet „Tongrube Niederpleis“, DE-52095209-302:
Am 30.11.2018 wurde das Bergrecht für die Tongrube Niederpleis nach § 69 Abs. 2 Bundesberggesetz (BbergG) für beendet erklärt.
Das Gebiet wird seit dem 01.11.2016 vom BUND naturschutzfachlich nach einem eigenen Managementplan betreut,
die BUND NRW Naturschutzstiftung hat das Gebiet im Jahr 2020 erworben.
Das behördliche FFH-Maßnahmenkonzept wurde im November und Dezember 2020 veröffentlicht.
Es referiert zunächst im Kapitel 1 („Kurzcharakterisierung“) einen damals schon 22 Jahre alten Verfahrensstand aus dem Jahre 1998.
Im Weiteren nimmt der Bericht Bezug auf die Inhalte des Projektentwicklungplanes des Naturschutzgroßprojektes
„chance7“ aus dem Jahr 2014, der aber weder mit den Eigentümern (auch nicht den Vorbesitzern) abgestimmt ist noch in dieser Weise vollzogen wird.
Bei den Bestandsdaten (Kapitel 3) wird auf die Rote Liste NRW 2010 Bezug genommen, sie ist aber bis zum Jahr 2020 durchaus aktualisiert worden.
Das Schutzgebiet hat u.a. das Problem der hohen Isolation („C“). Aktuell wird die dem Gebiet benachbarte BAB
auf alter Trasse neu errichtet. Mangels konkreter Maßnahmenvorgaben aus dem FFH-Maßnahmenkonzept wird eine für den Verbund zentrale Bachunterführung unter der BAB 3, die das Schutzgebiet nach Osten an große Waldflächen und weitere ehemalige Abgrabungen und Feuchtwiesen anbinden könnte, nicht gemäß den Empfehlungen der BfN-Skripten 522 (2019) zu Tierdurchlässen aufgeweitet.

Das FFH-Entwicklungsgebot, das Artenschutzrecht mit Entwicklungsgebot und § 2 Absatz 2 BNatSchG verpuffen, weil ein FFH-Maßnahmenkonzept auch mit konkreten Maßnahmen zur Überwindung der Isolation und zur Orientierung der Naturschutzfachbehörden fehlt.

 

V.i.S.d.P.: BUND Rhein-Sieg, Steinkreuzstraße 10/14, 53757 Sankt Augustin, 02241 145 2000

 

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