BUND-Kreisgruppe Rhein-Sieg

Klimawandel vor Ort - Landwirte aus Wachtberg berichten

03. April 2022 | Aktion, Landwirtschaft, Klimawandel

Klimawandel vor Ort - Landwirte aus Wachtberg berichten

Am 19. März 2022 fand im Rahmen der offenen Exkursionsreihe „Klima vor Ort“ der BUND Kreisgruppe Rhein-Sieg eine Ortsbegehung zum Thema in Wachtberg statt.
Die beiden Wachtberger Landwirte Martin Hagemann und Sebastian Luhmer führten eine bunt gemischte Gruppe Interessierter über ihre Flächen oberhalb von Wachtberg-Niederbachem.

Spüren sie als eng mit der Natur zusammenarbeitende Praktiker den Klimawandel?

Martin Hagemann betreibt in Wachtberg seit rund 30 Jahren auf ca. 2 ha Freiland-Gemüseanbau nach Biolandrichtlinien.

Möhren, Lauch, Mangold, Rote Bete, Feldsalat und je nach Saison zahlreiche andere Gemüsesorten werden direkt ab Hof vermarktet oder an Abnehmer in Bonn verkauft (Bio-Restaurant Cassisus-Garten, Leyenhof)

Sebastian Luhmer hält über 100 Glanviehrinder zur Fleischproduktion: Eine Mutterkuhherde mit derzeit knapp 40 Kälbern sowie drei Bullen.

Seit drei Jahren produziert er zudem mit seinen Legehennen in zwei sog.“Hühnermobilen“ Eier.

Eier, Eierprodukte und Fleisch werden direkt ab Hof verkauft.

Bewirtschaftete Fläche: 86 ha (Grün- und Ackerland, Naturvertragsanbau im angrenzenden Naturschutzgebiet „Dächelsberg“)

Auch Luhmer arbeitet nach Bioland-Richtlinien.

Gibt es klimabedingte Veränderungen?

Ja…:

Hagemann spürt deutliche Auswirkungen des Klimawandels auf seinen Gemüseanbau:

„Früher hieß es, bis Allerheiligen müsse man fertig sein auf dem Acker. Danach  beendeten Kälteeinbrüche und Schneefall die Feldarbeit. Es gab eine Winterruhe. Das ist heute anders“, so seine Wahrnehmung.
Eine „verlässliche“, längerdauernde Vegetationsruhe wie noch vor einigen Jahrzehnten, gäbe es nicht mehr.

Die immer schon vorhandenen Wetterextreme Hitze, Dürre, Starkregen gehen nach Hagemanns Beobachtung erkennbar in die bekannte Richtung: Langfristig steigende Durchschnittstemperaturen, häufigere Extremwetter wie Hitze- und Dürrephasen, heftige Starkregen statt „versickerungsfreundlicher“ Landregen.

Was bedeutet das für die hiesige Landwirtschaft?
 

Landwirte stehen vor zahlreichen neuen Herausforderungen:

  • Schädlinge und Unkräuter vermehren sich ganzjährig:
    Die Generationenfolge von Schadinsekten wird nicht mehr durch Kälte unterbrochen, Unkräuter (z.B. Vogelmiere) samen ganzjährig aus, neue, wärmeliebende Unkräuter kommen hinzu (Hederich).

    Aufgrund kleinflächigen Anbaus hat Hagemann in Frühjahr und Sommer zunächst weniger Probleme: Nützlinge (Vögel, Schwebfliegen etc.) reduzieren vom Ackerrand kommend auf natürliche Weise Schadinsekten und Unkrautsamen.
    Im Winter jedoch entfällt diese Abwehr bei anhaltendem Schädlings- und Unkrautdruck.
    Das stellt vor allem den Bio-Anbau mit ausschließlich mechanischer Schädlingsbekämpfung vor Probleme.

  • Ausbleibender Bodenfrost
    Der Boden friert im Winter nicht mehr durch.
    Damit bleibt er unbefahrbar für nötige maschinelle Winterarbeiten. Um Bodenverdichtungen zu vermeiden, müssen diese Arbeiten auf längere Trockenphasen im Winter verschoben.

  • Unzuverlässige Wasserversorgung
    Die Versorgung von Acker und Grünland mit Niederschlagswasser ist nicht mehr zuverlässig.

    Während der drei Dürrejahre 2018/19/20 mussten Gemüsekulturen bewässert werden.
    Hagemann und Luhmer profitieren zwar von einer eigenen Quelle, doch deren Spiegel sank aufgrund ausbleibenden Niederschlages zeitweise massiv ab.
    (Betriebe ohne eigene Quellen sind auf teures, in Dürrezeiten rationiertes Stadtwasser angewiesen: Trinkwasserversorgung hat Vorrang vor Feldberegnung)
    Hagemann bringt seine Gemüsekulturen über Tröpfchenbewässerung vorrangig mit Quellwasser durch Dürreperioden.

  • Viehhaltung: Grünfutterversorgung unkalkulierbarer
    Schwankender Aufwuchs auf den Rinderweiden durch Trockenheitsphasen erfordert neuerdings die Bereithaltung von Reservefutter zur Zufütterung:
    Nachdem die Dürrejahre 2018/19/20 erstmals zu Engpässen in der Grünfutterversorgung des Rinderbestandes führten, hält Sebastian Luhmer künftig Grünfutterreserven vor, die auf ehemaligen Ackerflächen erzeugt werden.
    (Hierzu rät auch der Bioland-Verband den ihm angeschlossenen Betrieben, denn: Futterzukauf ist im Notfall schwierig, da es „bio“ sein muß und die Nachfrage bei Mangel schnell das Biofutterangebot übersteigt).

  • Zufütterung in gemischten Rindergruppen gestaltet sich nach Luhmer organisatorisch schwierig: Männliche, weibliche, junge und geschlechtsreife Tiere müssen während der Fütterung voneinander getrennt werden.

    Im von Luhmers Tieren beweideten Naturschutzgebiet wirken sich Trockenphasen durch fehlende Düngung schneller auf die Vegetation aus als auf konventionell bewirtschaftetem, gedüngtem Weideland.
    Zwar nehmen an Trockenheit angepasste Kräuter zu, unterliegen aber teilweise unerwünschten, wuchskräftigeren Gräsern, die nicht mehr durch kalte Winter „ausgebremst“ werden (s.o.).

  • Verschobene Wachstumsphasen
    Die Erntezeiten verschieben sich nach vorne:
    So kann z.B. Winterblumenkohl statt Mitte Mai derzeit bereits Ende April geerntet werden.

  • Kulturwechsel im Gemüseanbau nötig?

    Das ist laut Hagemann aktuell noch nicht erforderlich, da die vorhandenen Kulturen mit den derzeitigen Gegebenheiten noch zurechtkommen.

    Kartoffeln:  Luhmer hat den Kartoffelanbau vor einigen Jahren allerdings aufgegeben, da hoher Wasserbedarf und Drahtwurmbefall Probleme bereiteten. Die Parasiten sterben durch zunehmend milde Winter nicht mehr ab (s.o.).
    Außerdem: Lagerhaltung durch mehr Hitzetage erschwert, teuer. Kartoffellagerräume müssen jetzt im Gegensatz zu früher gekühlt statt geheizt werden.

    Rückgriff auf alte Sorten?
    Nicht ratsam, da diese unter anderen klimatischen Bedingungen entwickelt wurden.

    Anbau wärmeliebender Sorten?
    Nicht ratsam, da Klimawandel „unzuverlässig“: Einzelne kalte Tage zerstören Früchte (z.B. Freiland-Paprika)

    Möglich wäre der Anbau von trocken- und wärmeverträglicherem Hanf oder Mohn, aber beide Kulturen erfordern einen hohen bürokratischen Aufwand („Opiumkontrolle“).
    Der Anbau von Faserlein, Soja, Körnererbsen, Ackerbohnen ist schwierig und kostenintensiv.
     

Problem:
Klimawandel zeigt sich vor allem „im Durchschnitt“ (Hagemann):
Es ist nicht gleichmässig von Jahr zu Jahr wärmer, trockener sondern mal heiß, mal kalt, mal nass, mal trocken - nur im langfristigen Schnitt wärmer, trockener.

Diese Schwankungen erschweren landwirtschaftliche Planungen und können für empfindliche Kulturen „tödlich“ sein. „Alte Regeln“ gelten nicht mehr.

  • Schwankungen abfangen durch

    a) vermehrten Anbau lagerfähiger Gemüsearten (Möhren)
    Dadurch gleichmässige, längerfristige Versorgung.
    Achtung: Veränderte Lagerbedingungen!
    Erdmieten heizen sich auf, das Lagergut droht vermehrt zu faulen.
    Lagerhallen müssen gekühlt werden (s.o.).
    Strohabdeckung von Lagergut heute als Strahlungs-, nicht mehr Kälteschutz.

    b) mehr Vielfalt
    Anbau vieler verschiedener Sorten, die unterschiedlich auf Wetterbedingungen reagieren und Ausfälle gegenseitig kompensieren können.
    Hagemann: Einseitigkeit macht verletzlich, was der intensive Obstanbau mit wenigen Sorten zeigt. Dort massiver Schutz der Kulturen vor Wetterextremen (Hagelnetze, Folien), um Totalausfälle abzuwehren.

  • Wie geht es den Nutztieren im Klimawandel?

    Rinder erzeugen als Wiederkäuer über ihr komplexes Verdauungssystem viel „innere“ Wärme: Sie können Kälte besser vertragen als Hitze und leiden bei anhaltend hohen Temperaturen.
    Durch Freilauf auf den Flächen des Luhmerhofes können sie sich den Wetterverhältnissen anpassen und z.B. an heißen Tagen Schatten unter Bäumen und in Waldnähe aufsuchen oder nachts weiden.
    (Bei Stallhaltung müsste durch Technik – Kühlung – das Wohlbefinden der Tiere gesichert werden – Energiekosten steigen.)

    Legehennen ertragen Hitze, sofern sie ausreichend Wasser aufnehmen. Anhaltende Hitzephasen belasten aber auch sie. Luhmer beklagt wenige kollabierte Tiere, die jedoch bereits älter waren.
    Vorteil: Der Parasitenbefall reduziert sich durch längere Trockenzeiten.

Fazit:

Vorboten des Klimawandels sind auch in Wachtberg für Landwirte bereits seit einigen Jahren spürbar.

Das erfordert Anpassungsmaßnahmen, was derzeit aufgrund der kurzfristig stark schwankenden Wetterverhältnisse schwierig ist.

Die Landwirtschaft befindet sich in einer Übergangsphase und muß sich an die kommenden Verhältnisse individuell je nach Betriebsart und Wirtschaftsweise durch „Try and Error“ herantasten.

 

Hinweis:

Die nächste Exkursion „Klima vor Ort“ findet am 9. April auf dem Bio-Obstbetrieb Krämer in Meckenheim statt.
Treffpunkt: 10.00 Uhr P&R Parkplatz Bahnhof Meckenheim; weiter Informationen finden Sie hier.
 

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