BUND-Kreisgruppe Rhein-Sieg

100 Jahre Schutzgebietsverordnung Siebengebirge Nutzungen dominieren das Schutzgebiet

19. Januar 2023

Siebengebirge, 19.01.2023: Am 20.Januar lädt der Regierungspräsident Dr. Wilk auf Schloss Drachenburg ein, um 100 Jahre Naturschutzgebietsverordnung für das Siebengebirge zu feiern. Glückwunsch und große Anerkennung, dass damals der Schutz des einzigartigen Naturraums unternommen wurde und gelang. Die Jubiläumsfeier ist zugleich Anlass auch für den BUND Rhein-Sieg-Kreis, Bilanz zu ziehen. Wie steht es um den Naturschutz im Siebengebirge im Rhein-Sieg-Kreis im Jahre 2023?

Obwohl das Siebengebirge bundesweit als bedeutendes Buchenwaldschutzgebiet geführt wird, ist gerade der Buchenwald kaum durch die bestehende Verordnung geschützt. Es gibt kein generelles Einschlagmoratorium für Buchen, z.B. für Bäume, die älter als 120 Jahre sind. Den typischen Totholzvorrat eines Naturschutzwaldes aufzubauen, wird selbst auf Flächen im Besitz des Landes oder der Kommunen nicht konsequent eingefordert. Die großen, mehrere hundert Hektar umfassenden Kahlschlagflächen wurden vornehmlich mit Eiche (und einigen Nebenbaumarten) bepflanzt, im Widerspruch zum bestehenden Maßnahmenkonzept für das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH) und im Widerspruch zum Schutz der Baumgenetik im Gebiet. Das Wegekonzept der im Jahr 2012 geänderten Verordnung, das einige Verbesserungen für den Naturschutz vorsah, wurde nie wirklich umgesetzt, der Naturschutz fand vornehmlich auf dem Papier statt. Anders als von der EU gefordert (Vertragsverletzungsverfahren C-116/22) gibt die Schutzverordnung für das Siebengebirge keine abgrenzbaren, konkreten Entwicklungsziele vor.

Fehlende Schutzvorgaben, fehlende Bindung an das FFH-Maßnahmenkonzept und fehlende konkrete Entwicklungsvorgaben sind der Grund weitreichender Fehlentwicklungen im 4.270 ha (SU-001K2) großen Schutzgebiet. In den letzten Jahren wurden auf der Basis der Verordnung zahlreiche Belastungen, gegen die einst auch der Verschönerungsverein für das Siebengebirge (VVS) hart gekämpft hätte, zugelassen und umgesetzt. Diese erfolgten zwar Einzelfall für Einzelfall, wirken aber in der Summe und anhaltend negativ auf das Schutzgebiet: Hunderte Hektar Fichtenwald wurde mit schwerem Forstgerät z.T. sogar während der Brut- und Wurfzeit gefällt und die Bodenstruktur auf viel zu eng angelegten Rückegassen zerstört. Das Kahlschlagverbot von 1923 griff eben nicht mehr. Die im Schutzgebiet besonders belastende Wohnnutzung wurde an etlichen Stellen ausgeweitet, immer mehr Baugebiete rücken bis direkt an die Schutzgebietsgrenze heran und zerstören die notwendigen Pufferzonen für das Naturschutzgebiet. Der Drachenfelskubus wurde gegen den ausdrücklichen und frühen Rat des BUND als Glaskubus aufgebaut, der Jugendhof Rheinland ohne ausreichende Genehmigungsverfahren neu eröffnet, die Schaaffhausenkanzel gegen eine absurde Betonkonstruktion ausgetauscht. Immer mehr Felsverbau aus Beton und Gitterwerk sichert zwar manche Erholungswege und Weinberge, schadet aber dem Siebengebirge selbst. Regelmäßig werden hunderte der bedrohten Feuersalamander, eine typische Buchenwaldart, im Schutzgebiet totgefahren. Ein massiver Waldwegeausbau hat die negativen Wirkungen der Trassen für die Siefen, Säume und Schluchtwaldgesellschaften rechtswidrig ohne FFH-Prüfung erneut für Jahrzehnte fixiert. Selbst typische Fußpfade wie der obere Eselsweg oder der Aufstieg zum Lemmerzbad wurden bzw. werden asphaltiert.

Das Siebengebirge ist Ort für Weihnachts- und Handwerkermarkt, Fernsehevents und Silvesterpartys. Illegal wurden vom Landesbetrieb Wald und Holz ein Galgen für das Ausweiden von getöteten Rehen und Wildschweinen und zahlreiche Hochsitze errichtet. Während der Rehgalgen auf Drängen maßgeblich des BUND wieder abgerissen werden musste, wurden die Hochsitze so wie die zunächst von der Stadt Bad Honnef illegal errichtete Schaaffhausenkanzel.nachträglich von der unteren Naturschutzbehörde legitimiert. Aktuell drohen erheblich störende Nutzungen des Burghofs durch zusätzliche privatnützige Interessen im Schutzgebiet und durch neue Verkehrsprojekte.

Besonders die Erholungsnutzungen abseits der Wege und immerneue Nutzungsansprüche schaden dem Schutzgebiet enorm. Zahlreiche Errungenschaften wie elektrisches Licht und KFZ-Verkehr belasten die Natur des Siebengebirges mit großer Wirkungsbreite. Dunkelkonzepte und eine effiziente Verkehrsbegrenzung für das gesamte Gebiet stehen trotzdem weiterhin aus und fehlen auch im FFH-Maßnahmenkonzept. Eine wirksame, sichtbare Darstellung der Schutzgüter und die deutlich erkennbare Gestaltung der Zugangswege als Eintrittspforten in ein europäisches, bedeutendes Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebiet (FFH) wären erste Schritte, um die Bedeutung des Gebietes überhaupt zu vermitteln. Der FFH-Status des Gebietes ist selbst in Flyern des Naturparks oft nicht erkennbar. Doch es fanden und finden auch Schutzmaßnahmen statt. Der Stenzelberg erhielt nach jahrzehntelangem Zögern Wegelenkungsmaßnahmen – einst wollte der damalige Umweltdezernent des Kreises daselbst dort das Klettern wieder zulassen.

Etliche Gehölzeinschläge und Rodungen an der Südflanke zeugen von einer Schutzzielorientierung des Kreises, die sich besonders dem Offenland widmet. Seit kurzem stoppen an manchen Stellen Warnschilder und mitunter sogar Zäune die Besucher*innen, wenn sie drohen, das zugelassene Wegenetz zu verlassen. Herauszuheben sind konkrete Schutzanstrengungen des Landes NRW selbst: die Naturwaldzellen und Wildnisflächen. Der VVS hat gegen umfangreiche Zahlungen des Landes (Vertrag Mai 2010), 544 ha (WG-VVS-0001) aus der Holznutzung genommen, das Land hat bisher 208 ha zusätzlich beigesteuert (WG-SU-0008). Die Nutzungsfreistellung aller Landesforstflächen im Siebengebirge steht jedoch aus.

Zurzeit bestimmen maßgeblich kommunale Interessen und die Forstbetriebe der öffentlichen Hand das Bild und die Zukunft des Siebengebirges. Das Bewusstsein um die besondere Fragilität dieses einzigartigen europäischen Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebietes scheint seit der nun dreizehn Jahre zurückliegenden Nationalparkdebatte (2009) mehr und mehr vergessen zu werden. Die behördliche Verantwortung für das Wohl des Siebengebirges selbst und seine Natur gerät zunehmend aus dem Blick. Die Forderung, den Burghofaufbau zuzulassen, hatte der Landrat bereits formuliert, als noch kein einziges ökologisches Gutachten zu diesem Vorhaben vorlag.

Die bestehende Schutzgebietsverordnung läuft im Jahr 2024 aus. Sie enthält zahlreiche Freistellungsregelungen, die bei genauer Betrachtung nicht vollzugsfähig sind. Der dahinterstehende Wunsch, viele Nutzungsinteressen über die Verordnung vom Schutzgebot freizustellen oder Ausnahmen für Nutzungen und Eingriffe in Aussicht zu stellen, widerspricht regelmäßig höherrangigen Vorgaben des Landes-, Bundes- und Europarechts. Die neu geplante Verordnung sollte diese Sollbruchstellen des Schutzvollzugs systematisch aufarbeiten und eliminieren, um den Schutzvollzug rechtskonform auszugestalten, zu erleichtern und Fallstricke abzubauen. Es zeichnet sich aber aktuell eine gegenteilige Entwicklung ab.

Der BUND ruft mit Nachdruck alle Freundinnen und Freunde des Siebengebirges auf, die Schutzanstrengungen deutlich zu verstärken und sich der Verantwortung für das Schutzgut „Siebengebirge“ neu zu erinnern. Für die dringend notwendige Trendwende beim Artensterben sind funktionierende Naturschutzgebiete eine der entscheidenden Voraussetzungen! Es bedarf weitreichender zusätzlicher Schutzvorgaben und der Bereitschaft, innerhalb des europäischen Schutzgebietes tatsächlich und wirksam der Natur eindeutig Vorrang einzuräumen und dafür auch Nutzungen aufzugeben. Das Siebengebirge ist kein „Selbstbedienungsladen“ und schon gar keine Flächenreserve für immer neue Nutzungswünsche.

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